Roma-Projekte in der Ukraine

Yegor* ist noch ein Kind, aber er weiß bereits, wie schwierig das Leben sein kann, wenn man nicht weiß, woher die nächste Mahlzeit kommt. Diese Existenzängste sollte kein Kind ertragen müssen. Früher verdiente Yegors Vater sein Geld auf Baustellen in ganz Europa. Doch als die weltweite Coronavirus-Pandemie das Geschäft zum Erliegen brachte und die Grenzen schloss, fand der Vater keine Arbeit mehr und Yegors Familie stand ohne Einkommen da.

Die Roma in der Ukraine: Kaum Schulbildung und Arbeit

Yegors Familie geht es wie vielen Roma in der Ukraine. 95 % der Roma in der Westukraine können weder lesen noch schreiben. Fast ein Viertel der in der Ukraine lebenden Roma gibt an, überhaupt keine Schulbildung zu haben. Wenn Mädchen 13 oder 14 Jahre alt sind, sind viele bereits verheiratet oder schwanger. Fast zwei Drittel von ihnen sind arbeitslos und 22% arbeiten nur Teilzeit, was bedeutet, dass viele Familien kaum Geld für Essen haben und stark unterernährt sind.

CBNs Orphan’s Promise möchte diesen Menschen Hoffnung schenken. Seit Jahren arbeitet Orphan’s Promise mit der Roma-Gemeinschaft zusammen und bietet ihnen Bildung und geistliche Gemeinschaft durch Hauskreise an. Die Mitarbeiter versorgen die Menschen mit praktischen Dingen wie warmen Schuhen und Winterkleidung, installierten Heizungen und richteten ein Gemeinschaftsbad mit fließendem Wasser ein. Darüber hinaus zeigt Orphan’s Promise den Roma mithilfe von Ackerbauprojekten, wie sie sich auch langfristig selbst versorgen können.

Dafür bot die Gegend optimale Bedingungen, denn der Boden ist dort unglaublich fruchtbar. Diese reiche, dunkle Erde ist der Grund, warum die Ukraine auch als „Kornkammer Europas“ bekannt ist. Da das Volk der Roma bereits auf Hunderten Hektar dieses fruchtbaren Landes lebt, lag die Lösung praktisch direkt unter ihren Füßen.

Das SEED-Projekt

Mit einem Landwirtschaftsprogramm lernen die Roma, diese wertvolle natürliche Ressource anzuzapfen und durch die Bewirtschaftung für ihre Familien zu sorgen, für die Zukunft zu planen und sich von der Armut der Generationen zu befreien. Das SEED-Projekt – Something to Eat Every Day (deutsch: Samen-Projekt – Etwas zu essen an jedem Tag) ist darauf ausgelegt, Wissen über Landwirtschaft und Ernährung zu vermitteln und eine kaufmännische Ausbildung sowie andere praktische Fähigkeiten weiterzugeben. Durch maßgeschneiderte Schulungen und Anleitungen bekommen die Teilnehmer Einblick in den gesamten Prozess von Ackerbau und Landwirtschaft – vom Pflanzen über die Ernte, sogar bis hin zur Konservierung und Lagerung der Erträge.

Reichlich frisches Obst und Gemüse, sowie Hühner, Kaninchen, Kühe und Schweine, die Milch, Eier und Fleisch sowohl für den Verzehr als auch zum Verkauf liefern, sind der Lohn der Arbeit. Besonders wertvoll ist, dass die Familien gelernt haben, wie man Obst und Gemüse einmacht und Fleisch pökelt, denn so können die Familien den Winter dank der konservierten Lebensmittel ohne Lebensmittelmangel überstehen. Die Eltern müssen nicht mehr verzweifelt darüber nachdenken, wie sie ihre Kinder in Zeiten der Knappheit ernähren sollen.

Auf eigenen Beinen stehen und den Kreislauf der Armut durchbrechen

Seit 2015 ist das SEED-Projekt in dieser Region etabliert. In den letzten Jahren haben die Familien viel gelernt und sich stark entwickelt: heute decken sie nicht mehr nur den Eigenbedarf, sondern produzieren so viel, dass sie ihre Erträge auch verkaufen können. Viele der Roma haben durch das Programm zum ersten Mal im Leben ein stabiles Einkommen. Ziel des SEED-Projekts ist es, dass die Roma schließlich völlig autark werden können. Besonders wertvoll ist auch, dass die Familien einen Weg aufgezeigt bekommen, dass harte Arbeit sich lohnt und sie ihre eigene Zukunft voller Möglichkeiten gestalten können und so der generationenübergreifende Kreislauf der Armut durchbrochen wird.

Auch Yegor lernte voller Eifer alles über Landwirtschaft und den Ackerbau. Heute ist er einer der fleißigsten und verantwortungsvollsten Gärtner im Programm! Sein stolzes Lächeln spricht Bände, wenn er seine gepflegten Gemüsereihen vorzeigt. Er hat sogar sein eigenes kleines Feld neben dem Haus seiner Eltern. Schon jetzt konnte die Familie eine reiche Ernte an allerlei Gemüse wie Gurken, Zucchini, Tomaten und Kartoffeln einfahren. Und das ist erst der Anfang.

 

Ein neues Selbstwertgefühl durch Abbau von Stigmatisierungen

Wenn Familien die Möglichkeit haben, den Kreislauf von Armut, Analphabetismus und Obdachlosigkeit zu durchbrechen, sehen wir, wie Hoffnung aufkeimt und ganze Gemeinden sich verändern. Der Wandel, der sich daraus in der Community ergibt, ist wirklich erstaunlich. Die Roma-Gemeinschaft ist mit einem Stigma behaftet, das typisch für nomadische Völker ist. Sie werden als faul, unzuverlässig und unehrlich dargestellt. Indem Orphan’s Promise sie mit den Werkzeugen und der Ausbildung ausstattet, die sie brauchen, um ihre Familien zu versorgen und die Früchte ihrer Arbeit zu genießen, wird auch dieses Vorurteil durchbrochen. Der positive Einfluss auf das Selbstwertgefühl dieser Familien ist enorm. Sie glauben wieder an sich selbst und fühlen sich als wertvoller, beitragender Teil der Gesellschaft.

Jede Ernte hilft Zukunft zu bauen

Mit dem Ausbruch von COVID-19 ist dieser Wandel noch wichtiger geworden. Vor der Pandemie gab es immer die Möglichkeit, zumindest zu versuchen, einen Nebenjob oder eine Teilzeitstelle zu bekommen. Doch da die Grenzen und die Geschäfte sind geschlossen sind, fällt diese Option weg. Ihre Familien unabhängig und eigenständig zu ernähren, ist für diese Gemeinschaften überlebenswichtig. Mit dem SEED-Programm werden sie befähigt, sich selbst, ihre Kinder und ihre Nachbarn zu ernähren. Jede Ernte hilft ihnen Zukunft zu bauen. Manche mögen es einfach Landwirtschaft nennen. Wir nennen es Hoffnung.

*Name geändert

Das Volk der Romani, allgemein als Roma bekannt, ist eine nomadische indoarische ethnische Minderheit, die in Europa lebt. In der Ukraine gibt es nach Schätzungen des Europarats etwa 260.000 Roma bei einer Gesamtbevölkerung von 41,8 Millionen. Aufgrund ihres nomadischen Erbes leben die Roma-Gemeinschaften oft in informellen, temporären Siedlungen oder auf Campingplätzen und sind dementsprechend oft von extremer Armut betroffen.

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