Gott als Vater entdecken

Manfred Lanz

von Manfred Lanz, Pastor und Lehrer 

Das Vaterunser ist uns bekannt, aber kennen wir auch den Vater?  

Jesus kam, um uns den Vater zu offenbaren und den Weg zu ihm zu zeigen. 176-mal sprach Jesus von seinem Vater, 112-mal allein im Johannesevangelium. Zwei Beispiele: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ Joh. 14,9; „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ Joh. 14,6. In allen Aussagen von Jesus über seinen Vater wird deutlich, dass es Jesu zentrales Anliegen war, dass wir den Vater in seinem wahren Wesen kennenlernen und in dieselbe Herzensbeziehung hineinwachsen, die er selbst mit seinem Vater hatte. Doch warum sollten wir Gott unbedingt als Vater entdecken? Und hindern uns vielleicht leidvolle Erfahrungen mit unseren menschlichen Vätern, die wir unbewusst auf Gott übertragen?  

Mir ging es so. Ich habe meinen leiblichen Vater als sehr dominant, fordernd und einschüchternd erlebt. Entsprechend war mein Gottesbild sehr leistungsorientiert und von Angst geprägt. Als ich dann mit 19 Jahren zum Glauben kam, fokussierte ich mein Christsein zunächst stark auf Jesus und den Heiligen Geist, zu Gott als Vater hatte ich viele Jahre kaum Zugang. Das änderte sich erst in einer heftigen Lebenskrise. Gott tatsächlich als Vater zu erkennen, gestaltete sich als ein Prozess, der immer noch nicht abgeschlossen ist. Ich bin dankbar für Begegnungen mit Menschen, deren Art und Lebensstil etwas vom Wesen des himmlischen Vaters widerspiegelt; für seelsorgerliche und therapeutische Gespräche, die mir halfen, mein falsches Vaterbild zu reflektieren und Blockaden aus meinem Herzen zu räumen; Bücher, die mir Gottes Vaterherz nahebrachten und alle Offenbarung, die mir Gott selbst in seinem Wort und in der Begegnung mit ihm schenkt.  

Drei Aspekte sind mir auf diesem Weg wichtig geworden.

1. Wahre Identität

Jeder Mensch braucht Identität und etwas, das ihm Wert und Bedeutung gibt. Ich suchte meine Identität in erster Linie in Leistung und Erfolg, im Ansehen von Menschen und in meiner Position als Leiter von unterschiedlichen Diensten und Werken. Doch die tiefe Sehnsucht meines Herzens nach Liebe, Annahme und Bestätigung wurde dadurch nicht erfüllt. Erst durch die Begegnung mit Gottes Vaterherzen begann die Reise zu meiner wahren Identität. 

Wie war das bei Jesus? Jesus wollte nichts anderes sein als ein Sohn. Seine Identität bestand nicht aus Besitz, Leistung oder Anerkennung von Menschen. Er lebte aus der Zusage: „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Markus 1,11 Lange Zeit dachte ich, dieses Wort hätte ausschließlich Jesus gegolten. Er war ja schließlich der perfekte Sohn. Allmählich aber eroberte die beglückende Wahrheit mein Herz: Auch ich bin sein geliebter Sohn. Ich bin genauso geliebt wie Jesus (siehe Joh. 17,23). Jesu Erlösungswerk beinhaltet neben der Sündenvergebung auch meine neue Stellung als Sohn.  

Paulus schreibt in Römer 8,15: „Denn wir haben nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, wiederum zur Furcht, sondern wir haben den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!“ Als Kind darf ich in der Annahme und Geborgenheit des liebenden Vaters ruhen. Aus dieser Identität heraus muss ich mich nicht mehr verbiegen, um es anderen recht zu machen, sondern kann zu mir stehen und der sein, der ich wirklich bin, mit Stärken und Schwächen. Henri Nouwen drückt es so aus: „Wer begreift, dass er der Geliebte Gottes ist, der braucht nicht mehr durch die Gegend zu laufen und um Anerkennung zu betteln.“

2. Herzensbeziehung

Gott ist unsere Herzensbeziehung mit ihm wichtiger als unser Dienst für ihn. Er möchte zuerst unsere Herzen mit seiner Liebe sättigen, damit wir dann, erfüllt und gestärkt, ihm und anderen Menschen dienen können.  

Im Gleichnis des verlorenen Sohnes in Lukas 15 beschwert sich der ältere Bruder beim Vater, dass er nie ungehorsam gewesen sei, immer für ihn gearbeitet und trotzdem keine Belohnung  bekommen habe wie der jüngere Sohn. Daraufhin erwiderte der Vater: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, ist dein“ (Vers 31). Hier sehen wir, was dem Vater wirklich wichtig war. Er wollte mit seinem Sohn zusammen sein, Zeit mit ihm verbringen. Und er zeigte ihm, dass er bereits durch seine Sohnschaft Zugang zu allem hatte, was der Vater ihm schenken wollte.  

Dieser Aspekt der Herzensbeziehung ist mir besonders für mein Gebetsleben wichtig geworden. Früher war meine Stille Zeit oft mühsam und leistungsorientiert. Bete ich genug? Lese ich genug in der Bibel? Wie lange ist genug? Die Wende kam, als mir durch die Begegnung mit dem Vaterherzen Gottes klar wurde: Nicht ich muss Gott etwas bringen, sondern er will mich beschenken! Beten ist keine lästige Pflichtübung. Es ist vielmehr eine wunderschöne Möglichkeit, seine Nähe zu genießen und mein Herz mit seiner Liebe sättigen zu lassen. Je mehr ich das Gebet als vertrauten Umgang mit dem liebenden Vater und seinem Sohn verstehe, umso mehr zieht es mich weiter in seine Gegenwart.

3. Zugang zu meinen Gefühlen

Mit der Reise zu Gottes Vaterherz begann auch eine Reise zu meinem eigenen Herzen. Früher war ich es nicht gewohnt, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen und mich mit meinen tieferen Gefühlen konstruktiv zu beschäftigen. Schon in meiner Herkunftsfamilie hatte ich „gelernt“, Gefühle wie Wut, Traurigkeit und Angst weitgehend zu verdrängen. Durch die Prägung der Gemeinde, in der ich später zu Jesus kam, verstärkte sich diese Tendenz noch. Ohne es zu merken, spaltete ich einen wesentlichen Teil von mir immer weiter ab. Dieser meldete sich umso heftiger in der Krise eines Burnouts, v.a. in Form von Ängsten und Depressionen. Erst in der Begegnung mit Gottes Vaterherz, verbunden mit tiefen seelsorgerlichen Prozessen, kam mein Herz zur Ruhe. Ich erkannte zunehmend: vor Gott darf alles sein. Er liebt mich ganzheitlich. Ich darf die ganze Palette meiner Gefühlswelt vor ihm ausbreiten, so wie David dies in den Psalmen tat. Alles hat seinen Platz vor Gott, in der Beziehung mit ihm. Das ist für mich gesunde Spiritualität.  

Seither lerne ich, meine Gefühle besser wahrzunehmen. Immer wieder erlebe ich, wie Gott sie sogar dazu benützt, mir etwas bewusst zu machen. Zum Beispiel war ich einmal ziemlich wütend auf eine Person. Früher konnte ich mir Wut nie eingestehen. Nun war ich auf dem neuen Weg, alle Gefühle Gott hinzuhalten und innerlich zu hören, ob er mir dadurch etwas sagen wollte. Ich entdeckte hierbei, dass ich mich in der Vergangenheit sehr verausgabt hatte, um es dieser Person recht zu machen. Nun fühlte ich mich verletzt und ausgenutzt. Dabei wurde mir klar, dass ich letztlich nicht auf diese Person, sondern auf mich selbst wütend war, weil ich über meine Grenzen gegangen war. Gott zeigte mir so, wie wichtig gesunde Abgrenzung von falschen Ansprüchen ist.  

Zusammengefasst lässt sich das, was mir auf meinem Weg mit dem Vater wichtig geworden ist, in drei Sätzen zusammenfassen: 

Ich bin bedingungslos geliebt! 

Mein Herz ist Gott wichtiger als mein Tun! 

Ich darf sein, der ich bin! 

 

Manfred Lanz, Pastor und Lehrer, war viele Jahre als Gemeindepastor und übergemeindlich tätig. Seit mehreren Jahren begleitet er Leiter und hält Seminare zur Vertiefung geistlichen Lebens. Manfred hat aus erster Ehe drei Kinder. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete er erneut und lebt jetzt mit seiner Frau Antje in der Nähe von Hannover. 

Bücher zur Vertiefung von Manfred Lanz: 

  • Leben in der Liebe des Vaters – Eine Entdeckungsreise zum Vaterherzen Gottes, SCM Brockhaus 
  • Tiefer in der Liebe des Vaters – Geistlich wachsen am Herzen Gottes, SCM Brockhaus 

 

Dieser Artikel stammt aus dem Erlebt Magazin zum Thema „Gott als Vater“ (Ausgabe Nr. 38 – April 2023)

Bestellen Sie sich hier ein kostenloses Exemplar nach Hause!

 

Einen Kommentar hinterlassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen