Ankommen, obwohl du unterwegs bist

Johannes Braun

von Johannes Braun, systemischer Berater und Berufungs-Coach

Welchen Fokus hast du, wenn es um deine Berufung geht?
In den letzten Jahren beobachte ich bei Christen zunehmend dieses Phänomen: Wir stehen regelrecht unter Berufungs-Stress und sind getrieben von der ständigen Sorge, das eigene Potenzial voll auszuschöpfen. Es ist fast wie ein Zwang, sich selbst verwirklichen zu müssen. Man will im Leben eben nichts verpassen, vor allem nicht die eigene Berufung. Doch welches Verständnis von Berufung liegt hier zugrunde? Was hat der Zeitgeist bloß mit uns gemacht?

Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt diesen gesellschaftlichen Trend als Hamsterrad der Selbstoptimierung. Wie der Hamster sind wir gefangen in einem Steigerungsspiel von höher, schneller und weiter. Aus ökonomischer Sicht brauchen wir ständig Wachstum und dabei steigen die Anforderungen an das Individuum – beruflich wie privat. Im Hamsterrad der Selbstoptimierung wollen wir uns fortlaufend verbessern und an uns arbeiten, dass wir schöner, gesünder, kommunikativer und wirkungsvoller werden. Bei der Vielzahl der Optionen, die sich uns heute bieten, wollen wir nicht abgehängt werden. Dazu kommt, dass wir sehr hohe Ansprüche haben, auch daran, wie unser Leben zu laufen hat, und was wir letztlich erreichen möchten. Doch wenn wir ehrlich sind, holt uns immer mal wieder das mulmige Gefühl ein, irgendwie zu versagen und bei diesem Steigerungsspiel nicht mehr mitzukommen. Der Zeitgeist ruft uns zu: “Hey, du hast doch alle Möglichkeiten. Lebe deinen Traum!” Das hört sich zunächst gut an. Doch was ist, wenn dieser Traum zum Albtraum wird, weil sich abzeichnet, dass es anders kommt, als wir gedacht haben? Was ist, wenn wir in Krisen geraten? Was passiert mit uns, wenn wir unseren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden? Dann kann die Suche nach unserer Bestimmung, ja das ganze Thema Berufung zum Stress mutieren – eine Last, die man auch einem gestandenen Christen deutlich ansieht.

Berufung bedeutet eben nicht, dass man verbissen eine Karriereleiter erklimmt. Stelle dir vor, du kommst am Ende deines Lebens oben an und stellst bestürzt fest, dass die Leiter an der falschen Wand steht?

In unserer Leistungsgesellschaft passiert es schnell, dass wir vor allem etwas für Gott tun, statt mit ihm unterwegs zu sein. Doch was würde es in uns verändern, wenn wie wir den Zwang der Selbstverwirklichung hinter uns ließen und unsere Berufung vielmehr als eine Reise verstehen würden, die wir mit Gott zusammen genießen können? Wie der Psalm 23 uns vor Augen malt, führt er uns auf diesem Weg durch Höhen und Tiefen – dabei möchte er unser Herz formen und wir lernen Gottvertrauen und Demut. Es geht dann gar nicht mehr darum, was ich alles erreichen kann, sondern darum, dass ich auf dieser Reise das Wesentliche lerne: zu lieben, wie Jesus geliebt hat. “Das Endziel des Gebotes aber ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.” (1. Timotheus 1,5)

Ich will in meinem Leben also nicht ewig darauf warten, endlich mal was Großes zu reißen. Vielmehr will ich jene Dinge tun, die in den Augen des Allerhöchsten wesentlich sind.

Ich glaube, dass wir in dieser schnelllebigen Zeit einen neuen Blick auf unseren Berufungsweg brauchen: Ein Lebensgefühl des Angekommenseins anstelle der rastlosen Suche. Endlich ankommen bei Gott, der mit mir diesen Weg gehen will und der mich in keinem Moment allein lässt. Ankommen bei mir selbst, wo ich meinen Ist-Zustand und auch den aktuellen Streckenabschnitt neu umarmen kann, egal ob der Weg gerade steinig ist oder ob ich mich auf der Überholspur befinde. Anstatt mich ständig mit anderen zu vergleichen oder irgendwelchen Trugbildern nachzulaufen, komme ich schließlich zu dem Punkt zu sein, wer ich wirklich bin und worin Gott mich zum Geschenk für die Menschheit gemacht hat. „Ankommen auf deinem Berufungsweg“, das klingt paradox, aber gerade darin liegt das Geheimnis, echten Frieden zu finden.

VITA: Johannes Braun (Jg. 1981) ist systemischer Berater und Berufungs-Coach. Zudem ist er ein gefragter Sprecher auf Tagungen und Konferenzen. In seinem Podcast „Erweckt leben“ gibt er Impulse für authentische Gottesbegegnungen und Schritte in der persönlichen Berufung. Er ist mit Désirée verheiratet. Die beiden haben drei Kinder.


 

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